Ilja Tschlaki

FREMDE ODER DER ALPTRAUM

(Иностранцы, или кошмарный сон)

Aus dem Russischen von Gustav Neuthinger

Personen:
Renate, die Mutter, ca. 42 Jahre
Stefan, der Vater, ca. 45 Jahre
Wolfgang, der Großvater, ca. 75 Jahre, Stefans Vater
Friederike, die Großmutter, ca. 70 Jahre
Fred, der Sohn

Ein großes Esszimmer. Ein Tisch, Stühle, ein Geschirrschrank ...
Wolfgang sitzt da, er ist eingenickt. Renate kommt ins Zimmer. Sie schaut Wolfgang an.

RENATE:       Der Teufel soll euch alle holen! Was soll das denn bloß? Wozu habt ihr ihn gerufen? Das ist keine Familie, sondern weiß der Teufel was. Worüber soll man denn mit diesem Idioten reden? Der hat doch von nichts eine Ahnung. Schnarch du auch noch! Pfui, Herrgott vergib mir! Du bist doch schwachsinnig, du alter Esel! Und dein Sohn ist auch nicht besser! Das ist ja eine schöne Bescherung. Na, ich bin ja selber schuld.
WOLFGANG:        Was?
RENATE:     Nichts.
WOLFGANG:        Umso besser. Wie spät haben wir denn? Na? Was hast du gesagt?
RENATE:   Nichts.
WOLFGANG:        Na gut. Also, wie spät ist es?
RENATE:        Was?
WOLFGANG:        Ist es nicht schon Zeit fürs Abendessen?
RENATE:    Es ist noch zu früh.
WOLFGANG:   Was?
RENATE:       Ja.                                
WOLFGANG:        Was?
RENATE:   Nichts!
WOLFGANG:        Früher konnte ich besser hören. Jetzt geht es so, aber früher... Ich habe die Nachbarn an ihren Schritten erkannt. So ein gutes Gehör hatte ich! Keiner konnte glauben, dass ich bei laufendem Fernseher das Summen einer Fliege im Nebenzimmer gehört habe. Man hat nachgeschaut. Dann hat man es bestätigt: genau, hat man gesagt, da ist eine Fliege. Glaubst du mir das?
RENATE:   Was für ein Idiot.
WOLFGANG:        Und bei Friederike ist es genau umgekehrt. Soweit ich mich erinnern kann, war sie ihr ganzes Leben lang taub. Alles, was du ihr gesagt hast und worum du sie gebeten hast, musstest du ein paar Mal wiederholen. Beim ersten Mal hat sie nichts verstanden. Und den Fernseher hat sie so laut gestellt, dass mir die Ohren wehtaten. Sie waren halt empfindlich. Jetzt ist aber alles anders. Die Ohren sind schon nicht mehr so wie sie mal waren, Friederike ist nicht mehr dieselbe und ich selbst bin auch nicht mehr der alte. Wo steckt sie eigentlich? Es ist schon ziemlich spät  und sie ist immer noch nicht da... Sie ist ins Geschäft gegangen. Wollte irgendwas zu essen kaufen. Kuchen, glaube ich. Aus euch Frauen wird man ja nicht schlau. Warum schweigst du denn die ganze Zeit? Oder bist du beleidigt? Bist du etwa beleidigt?
RENATE:        Nein.
WOLFGANG:        Nein?
RENATE:        Ja.
WOLFGANG:        Ja.
RENATE:        Nein.
WOLFGANG:        Nein?
RENATE:        Ja, nein!
WOLFGANG:        Ich versteh nicht ganz... Egal, sei nicht beleidigt.
RENATE:        Was widerst du mich an.
WOLFGANG:        Irgendwas habe ich da nicht ganz verstanden... Ist irgendwas passiert oder treffen wir uns einfach nur so? Friederike hat gesagt, dass du uns zu einem Familientreffen bestellt hast. Deswegen dachte ich, es ist vielleicht etwas Schlimmes passiert.
RENATE:        Endlich ist er wach geworden.
WOLFGANG:        Was?
RENATE:        Nichts!
WOLFGANG:        Wer?
RENATE:        Verschwinde!

Stefan kommt herein.

STEFAN:               Hallo Renate, hallo Vater. Aha, wir kriegen Gäste. Streitet ihr euch, oder was?
WOLFGANG:        Guten Tag, mein Sohn.
STEFAN:               Ich habe vielleicht einen Hunger. Was gibt es denn Leckeres? Vielleicht bestellen wir lieber Pizza? Möchtest du eine Pizza? Na, dann eben nicht. Ich dachte ja nur... weil Vater gekommen ist...
WOLFGANG:        Mutter kommt auch noch.
RENATE:        (zu Wolfgang). Was?
STEFAN:               Was haben wir heute für einen Tag?
WOLFGANG:        Mittwoch.
RENATE:        (zu Wolfgang). Was?
STEFAN:               Mittwoch ... Gäste mitten in der Woche ... Das ist nicht übel.
WOLFGANG:        Mutter ist Kuchen kaufen gegangen. Was macht deine Arbeit?
STEFAN:               Alles in Ordnung. Macht aber keinen Spaß mehr. Der Computer schadet dem Denken.
RENATE:        Du hattest doch damit schon immer Probleme.
STEFAN:               Ich gehe ein Brot essen.
WOLFGANG:        Gut. Ich kenne das von mir selbst: ein hungriger Mann ist schlimmer als ein unzufriedenes Weib.
RENATE:        Was? Du hast doch etwas gesagt.
WOLFGANG:        Nein, nein, ich will nichts essen.

Stefan geht.

RENATE:        Den Ehemann sollte man sich nach seinen Eltern aussuchen. Schau dir die Eltern an und überleg dir genau: lohnt es sich überhaupt, so einen zu heiraten? Warum habe ich blöde Kuh überhaupt alle eingeladen? Andererseits sollen sie ruhig erfahren, was aus ihrem Lieblingsenkel geworden ist. Vielleicht können sie ihn ja noch aus der Scheiße ziehen, in der er steckt. Es gibt natürlich kaum Hoffnung. Er steckt schon zu tief drin. Gott sei dank versteht das keiner so gut wie ich. Ich schlage mich damit ja tagtäglich herum. Elende Scheiße.

Es klingelt an der Tür.

Renate geht auf Wolfgang zu, schaut ihn an.

Es klingelt noch einmal.

Renate schaut Wolfgang an.

WOLFGANG:        Was?
RENATE:        Hörst du denn nichts?
WOLFGANG:        Was?
RENATE:        Klingeling. Es klingelt.
WOLFGANG:        Ich, entschuldige...
RENATE:        Aber deinen Sohn hast du ganz gut verstanden.
WOLFGANG:        Ich glaube, ich muss mir ein Hörgerät kaufen. Man sagt, davon wird man ganz taub. Aber dafür kann ich dann hören.
RENATE:        Ich verstehe nicht ganz, tut er nur so oder nicht. (Sie geht).
WOLFGANG:        Was für ein niederträchtiges Weib! Absichtlich nuschelt sie da vor sich hin, nur um mich verrückt zu machen. Vielleicht sagt sie ja überhaupt nichts, bewegt nur zum Anschein die Lippen, bei ihr muss man mit allem rechnen. Er hätte sie nicht heiraten sollen. Ich mag diese Art von Frauen nicht. Immer ist sie unzufrieden! Wenn sie uns nicht mag, braucht sie uns ja nicht einzuladen. Wir kommen auch so klar! Gott sei dank haben wir auch ohne dich genug zu tun. Da musst du nicht noch vor mir das Maul aufreißen!

Friederike kommt herein, gefolgt von Renate.  
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